Tandem für immer

Hat man nicht hier und da schon gehört, dass – vielleicht aus Abenteuerlust, vielleicht um mit einem solchen Gefährt Aufmerksamkeit erregen zu können – zwei Fahrradrahmen zu einem doppelsitzigen Fahrzeug zusammengeschweißt worden sind? Das war früher gar nicht so selten. Heute hat man die Qual der Auswahl.

Das Tandem. – Es ist etwas sperrig, kann sportlich aussehen oder als Oldtimer daherkommen, schlicht bleiben oder exklusiv aufgemotzt sein, zum Spazieren fahren dienen, auf Rennstrecken zu Hause sein oder lange Touren bewältigen; man kennt es klappbar, als Liegerad oder mit E-Motor ausgestattet.

Vielfalt und Preis sind wie bei Einzelrädern auch – schier unbegrenzt. Entscheidend ist, dass man das Rad findet, das den eigenen Wünschen, Vorstellungen und Vorhaben entspricht und dass man gut drauf sitzen oder liegen kann.

Und wer das richtige gefunden hat, für den ist das Tandemfahren im Alltag, bei der Urlaubsplanung und im Austausch mit anderen immer ein Thema.

Warum Tandem?

So verschieden wie die Fahrzeuge, so unterschiedlich können auch die Besatzungen, und deren Motivation sein:

Die sportlichen Typen: Sie sehen das Tandemfahren als Training an und betrachten es als schönen Ausgleich zum täglichen Joggen. Sie notieren jeden Kilometer; schließlich will man den Erdball kilometermäßig bald mindestens einmal umrundet haben. Und wenn es draußen schneit, fahren sie in der guten Stube auf dem Ergometer.

Die Kaffeetourfahrer: Am Wochenende holen sie das Radl aus dem Keller und fahren bis zur nächsten Eisdiele, aber nur, wenn die Sonne scheint.

Die Touristen: Sie packen ihre vier Radtaschen, und was da nicht rein passt, bleibt zu Hause. Eigentlich brauchen sie ja nur die Fahrradsachen. Sie nehmen sich lange Strecken vor und fahren deshalb an vielen Sehenswürdigkeiten vorbei – man hat ja ein Ziel.

Die Spaßfahrer: Sie machen sich keinen Stress und wollen sich nicht unnötig schinden. Wenn der Hügel zu steil ist, schieben sie, und wenn es im Rücken zwickt, nehmen sie das Auto. Bei schlechtem Wetter bleiben sie zu Hause.

Das alles hat erst einmal gar nichts mit blinden oder sehbehinderten Radfreunden zu tun, sondern mit der Freude, zusammen auf einem Rad zu fahren, die Gemeinsamkeit zu erleben, Harmonie und gegenseitiges Verstehen, Verlässlichkeit und Teamgeist zu entwickeln und zu spüren, letztlich auch gemeinsam und zur gleichen Zeit an einem Ziel anzukommen.

Sind das nicht schon triftige Gründe, sich für ein Tandem zu entscheiden?

Für Menschen mit Sehbehinderung heißt Fahrradfahren allerdings verständlicherweise Tandemfahren, denn allein geht das Radfahren nun mal schlecht oder ist mit zu hohen Risiken verbunden. Deshalb steht das Tandem bei blinden und sehbehinderten Menschen hoch im Kurs, wobei nicht wenige – gerade auch jüngere Leute – erst einen Anstoß brauchen, um sich tandemfahrend zu bewegen.

Es ist ja auch nicht immer leicht, einen Piloten zu finden, der das Tandemfahren ebenfalls für sich entdeckt hat. Nicht immer hat der Lebenspartner Freude am Radfahren oder kann aus gesundheitlichen Gründen nicht als Pilot fungieren. In dieser Situation ist es schon ein Glücksfall, wenn ein Gleichgesinnter gefunden wird, sei es im Freundeskreis, über einen Radsportverband oder durch eine Anzeige.

Vereint auf dem Rad und im Verein

Für den Verein Tandem-Hilfen e.V. ist das Tandem Sportgerät, Mobilitätshilfe und Symbol zugleich. Es ist ein Paradebeispiel für Inklusion – ein Mittel zur Teilhabe in vieler Hinsicht.

Und in diesem Sinne sind die Projekte des Vereins auch angelegt: Ob der „Tandem-Frühling“ zum Saisaonauftakt, die Wochenfreizeit „Tandem für alle“, das „Internationale Tandem-Jugend-Camp“ oder „Tandem-Schnuppern“ für Einsteiger – immer geht es darum, die Freude am Tandemfahren und an der Gemeinschaft zu fördern, durch Bewegung etwas für die Gesundheit zu tun, Landschaft und Sehenswürdigkeiten verschiedener Regionen per Tandem kennen zu lernen und neue Kontakte zu knüpfen. Dazu kommen Hilfsprojekte, bei denen das Tandem als Symbol für Gemeinsamkeit steht.

Tandem-Hilfen für andere

Nach den mit Hilfsprojekten verbundenen Tandem-Touren „Berlin-Athen“ und „Berlin-St. Petersburg“, bei denen Bildungseinrichtungen und Selbsthilfeorganisationen in 14 Ländern mit Hilfsmitteln im Gesamtwert von rund 75.000 € unterstützt wurden, gibt es im Jahr 2015 wieder ein Projekt, das Hilfe zur Selbsthilfe leisten will:

„Kuba-Tandem 2015“

Dass blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche im fernen Kuba Unterstützung jeder Art gebrauchen können, wird jedem klar sein. Aber was brauchen sie, was brauchen die Blinden- und Sehbehindertenschulen auf der Karibikinsel am dringendsten?

Tandem-Hilfen e.V. will sich darum kümmern.

Im Januar 2015 gehen vier Tandem-Teams auf eine abenteuerliche Tour durch Kuba. Sie besuchen Blinden- und Sehbehindertenschulen, erfahren so, welche Hilfsmittel dort am dringendsten gebraucht werden, machen Schüler und Lehrer mit dem Tandemfahren bekannt und lassen am Ende die vom Verein „Tandem-Hilfen e.V.“ zur Verfügung gestellten und weitere gespendete Tandems als Geschenke auf der Insel. Damit soll das Tandemfahren, das bisher auf Kuba kaum bekannt ist, blinden und sehbehinderten Jugendlichen neue Möglichkeiten zur Teilhabe und zur Integration eröffnen.

Das ist aber noch nicht alles. Das Hilfsprojekt soll nachhaltig wirken, indem weitere Tandems sowie Hilfsmittel für Bildung und Freizeit in Deutschland gesammelt und Blinden- und Sehbehindertenschulen in Kuba übergeben werden.

Das Ganze wird nicht im Verborgenen geschehen, sondern im Spiegel der Medien – hier und im fernen Kuba.

Das Motto „Es geht nur gemeinsam“ gilt nicht nur für die sicher recht abenteuerliche Tandem-Tour durch mehrere kubanische Provinzen, sondern für das Hilfsprojekt „Kuba-Tandem 2015“ insgesamt.

Wenn es gelingt, durch Hilfsmittelspenden Blinden- und Sehbehindertenschulen in Kuba nachhaltig zu unterstützen und vielleicht auch kubanische Jugendliche zum nächsten Internationalen Tandem-Jugend-Camp für Blinde und Sehbehinderte nach Deutschland einzuladen, dann hat das Tandem mehr als nur Symbolkraft bewiesen. Und „Tandem für immer“ könnte dann auch in Kuba Wirklichkeit werden.

Dr. Thomas Nicolai

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Verein zur Integration blinder und sehbehinderter Menschen in die Gesellschaft durch Organisation von Tandem-Freizeiten.
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